EuGH Urteil (http://curia.europa.eu/juris/liste.jsf?language=de&jur=C,T,F&num=C-55/18)
Mit dem oben angeführten Urteil wurde die Bedeutung des Grundrechts für Dienstnehmer, wonach die Höchstarbeitszeit begrenzt ist und die Ruhezeiten einzuhalten sind, gestärkt. Dieses Grundrecht ist in der EU-Grundrechte Charta verbürgt. Es wird hierbei festgehalten, dass die tägliche Arbeitszeit eines jeden Dienstnehmers, ohne ein System, das diese misst, nicht dem Grundrecht entspricht, da es dadurch schwierig oder gar praktisch unmöglich ist, seine Rechte durchzusetzen.
Die Mitgliedsstaaten sind daher verpflichtet, Dienstgebern vorzuschreiben, dass diese ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzurichten haben, mit dem die vom Dienstnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann.
Die EU-Arbeitszeitrichtlinie (2003/88/EG) sieht folgendes vor:
1. Begrenzung der wöchentlichen Arbeitszeit
2. Tägliche Ruhepause
3. Tägliche und wöchentliche Ruhezeit
4. Bezahlter Jahresurlaub
5. Besondere Schutzmaßnahmen für Nachtarbeit
In Österreich wurden diese Vorgaben durch das AZG (Arbeitszeitgesetz) sowie das ARG (Arbeitsruhegesetz) umgesetzt. Die Aufzeichnungen im Sinne dieser Gesetze müssen auf Verlangen (Arbeitsinspektorat, Gerichte, Prüfungen, etc.) abrufbar und vorweisbar sein. Im § 26 AZG (https://www.jusline.at/gesetz/azg/paragraf/26) findet sich die Verpflichtung zur Aufzeichnung von Arbeitszeiten.
Was genau ist aufzuzeichnen?
Aufzeichnungen müssen den Beginn und das Ende der Arbeitszeit beinhalten. Reine Saldoaufzeichnungen reichten lt. AZG nicht aus. Ebenfalls aufzuzeichnen ist die tägliche Ruhepause (außer Betriebsvereinbarung oder Einzelvereinbarungen für den festgelegten Zeitraum). Die Aufzeichnungspflicht gilt auch für Arbeiten außerhalb des Betriebes (z.B. Dienstreisen, Montagen, etc.).
Wer muss aufzeichnen?
Die Aufzeichnungsverpflichtung für den Beschäftiger ergibt sich auch daraus, dass dieser verpflichtet ist, die Lohnunterlagen bereitzuhalten, wozu auch die Arbeitszeitaufzeichnungen gehören ( § 22 Abs 1 LSD-BG / https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=20009555 ).
Es kann zwar vereinbart (nicht einseitig angeordnet!) werden, dass der DN die Arbeitszeit aufzuzeichnen hat, wobei der Dienstgeber den Dienstnehmer zur ordnungsgemäßen Führung dieser Aufzeichnungen anzuleiten hat.
Aufgrund des EuGH-Judikats kann eines unstrittig festgehalten werden: Überträgt der Dienstgeber die Aufzeichnungspflicht an den Dienstnehmer, bleibt dennoch der Dienstgeber dafür verantwortlich, dass die Arbeitszeitaufzeichnungen den Vorschriften des AZG entsprechen.
Der Dienstgeber hat regelmäßig zu kontrollieren, dass die Arbeitnehmerschutzvorschriften eingehalten werden. Als Grundsatz empfehlen wir, dass der Dienstgeber monatlich die vom Dienstnehmer geführten Arbeitszeitaufzeichnungen kontrolliert.
Aufzeichnung sind für alle Dienstnehmer, auch Teilzeitkräfte und geringfügig Beschäftigte verpflichtend, ausgenommen sind nur leitende Angestellte.
Wie muss aufgezeichnet werden?
Das AZG sieht keine bestimmten Modalitäten vor. Möglich sind daher sowohl händische als auch elektronische Zeiterfassungen.
Der EuGH hat dazu lediglich festgehalten, dass das System objektiv, verlässlich und zugänglich sein muss. Der DN hat (a) ein Einsichtsrecht und (b) seit 1. 1. 2015 das Recht, einmal pro Monat eine Kopie der Arbeitszeitaufzeichnung kostenfrei zu erhalten, wenn er das verlangt. Nicht zu vergessen: das unbeschränkte Einsichtsrecht des Betriebsrats (§ 89 Z 1 zweiter Satz ArbVG / https://www.jusline.at/gesetz/arbvg/paragraf/8 ).
Praxistipp
In einer perfekten Personalabteilungswelt werden daher die Arbeitszeitaufzeichnungen 1x pro Monat dem DN übermittelt und „gegengezeichnet“, dh, der DN bestätigt, dass die vorgelegten Arbeitszeitaufzeichnungen richtig sind. Ob dies durch händische Gegenzeichnung oder besser durch Bestätigung im Intranet erfolgt, ist dabei irrelevant.
Die „Richtigkeitsbestätigung“ der Arbeitszeitaufzeichnungen kann dann entfallen, wenn die Aufzeichnungspflicht dem DN selbst übertragen wurde und dies auch regelmäßig vom DG kontrolliert wird.
Ein Muster der korrekten Zeitaufzeichnungen erhalten Sie von unseren Mitarbeitern.
Was sind die Konsequenzen, wenn mangelhafte (unrichtige und/oder unvollständige) bzw keine Arbeitszeitaufzeichnungen vorliegen?
Die Aufzeichnungen müssen so geführt werden, dass es jederzeit möglich ist zu überprüfen, ob alle Vorschriften des AZG bzw ARG eingehalten wurden. Sie müssen jederzeit auf Verlangen abrufbar und vorweisbar sein.
Sind die Arbeitszeitaufzeichnungen mangelhaft oder fehlen sie zur Gänze, kann dies sowohl in einem Rechtsstreit mit dem Dienstnehmer als auch bei einer Kontrolle durch das Arbeitsinspektorat gravierende Folgen haben.
Rechtsstreit um Überstunden ➜ Schätzung der Stunden
Wenn ein DN in einem Prozess behauptet, dass er regelmäßig Überstunden geleistet hat und dies auch grundsätzlich beweisen kann, er jedoch keine Aufzeichnungen hat und diese auch durch den DG nicht geführt wurden, hat das Gericht die geleisteten Stunden zu schätzen ( § 273 Abs 1 ZPO).
Verfall
Wenn Arbeitszeitaufzeichnungen
1. a) fehlen oder
2. b) zwar geführt wurden, aber dem Dienstnehmer willkürlich vorenthalten werden und
es deshalb unzumutbar wird, in einer arbeitsrechtlichen Streitigkeit die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden festzustellen, dann werden allenfalls bestehende Verfallsfristen gehemmt.
Verfallsfristen werden gehemmt, solange dem DN – trotzdem er dies verlangt hat – die Arbeitszeitaufzeichnungen nicht übermittelt werden ( § 26 Abs 8 AZG ). Der Dienstnehmer kann dann Mehrleistungsansprüche unabhängig vom Verfall geltend machen, und zwar bis zum Ablauf der 3-jährigen Verjährungsfrist.
Arbeitsinspektorat
Dem Arbeitsinspektorat ist Auskunft zu erteilen und auf Verlangen Einsicht in die Aufzeichnungen zu gewähren.
Wenn Arbeitszeitaufzeichnungen
1. a) fehlen oder
2. b) zwar geführt wurden, aber der DG weigert sich diese dem Arbeitsinspektorat vorzulegen,
dann ist dies strafbar.
Bei mangelhaften Aufzeichnungen beträgt die Strafe zwischen € 20,00 und € 436,00 pro DN und pro Verstoß. Die Strafe für komplett fehlende Aufzeichnungen ist noch höher und beträgt zwischen € 72,00 und € 1.815,00.