1. Ausgangslage
Welche Auswirkungen haben die Geltendmachung von Vorsteuern bei Mängel der Rechnungsmerkmale (iSd § 12 Abs 1 Z 3 UStG) im Finanzstrafrecht bzw. Umsatzsteuer hat und welche Finanzvergehen dadurch verwirklicht werden können. Im § 11 USTG finden sich jene Formalanforderungen, die bei einer Rechnungsausstellung zu beachten sind.
Es sind hierbei zwei Fälle zu unterscheiden:
- entweder eine Verwaltungsübertretung und dadurch als eine „bloße“ Ordnungswidrigkeit, weil ein Formalnachweis nicht erfüllt wird,
- oder ein Hinterziehungsdelikt weil die Formalanforderungen fehlen.
Die Zuordnung hat in der Folge auf die straf- und und abgabenrechtlichen Beweisgrundsätze, die in den beiden Kategorien teils erheblich voneinander abweichen. Im Strafrecht ist immer die Behörde bzw das Gericht beweispflichtig ist. Die Verletzungen von Formalanforderungen verschieben im Abgabenrecht in der Regel die Beweislast zulasten des Steuerpflichtigen.
Die jüngste EuGH-Rechtsprechung führt nicht nur im Abgabenrecht, sondern auch im Finanzstrafrecht zu einer deutlichen Entspannung. Demnach sind Formalanforderungen schon im Umsatzsteuerrecht keine objektive, materielle Tatbestandsvoraussetzung. Können die objektiven materiellen Anforderungen auf andere Weise nachgewiesen werden, steht dem Steuerpflichtigen – selbst bei Vorliegen gravierender Mängel der Rechnung – der Vorsteuerabzug grundsätzlich offen.
Können bereits im Abgabenverfahren die materiellen Voraussetzungen auf andere Weise nachgewiesen werden, kommt es schon zu keiner Verkürzung der Umsatzsteuer, selbst wenn wesentliche Rechnungsmängel vorliegen. In solchen Fällen kommt im Finanzstrafrecht – Vorsatz vorausgesetzt – nur mehr eine Finanzordnungswidrigkeit nach § 51 FinStrG in Betracht.
2. Beispiele
2.1. Fälle 1 und 2: Unwesentliche und wesentliche Rechnungsmängel
Fall 1: Die Rechnung weist einen unwesentlichen Mangel auf, zB fehlt der Leistungszeitraum.
Fall 2: Die Rechnung weist einen wesentlichen Mangel auf, zB fehlt die Lieferbezeichnung des Gegenstands.
In beiden Fällen ist die Lieferung tatsächlich ausgeführt worden.
Ergebnis: Trotz des formalen Mangels der Rechnung ist es in beiden Fällen zu keiner Abgabenverkürzung im Sinne des Finanzstrafrechts gekommen. Eine Abgabenhinterziehung kann insbesondere nicht damit begründet werden, dass der Vorsteuerabzug wegen Nichtvorliegens einer § 11 UStG entsprechenden Rechnung zu versagen sei. Dies unabhängig davon, ob es zu einer Korrektur der Rechnung kommt oder nicht.
Praxishinweis: Derartige Fälle formaler Mängel der Rechnung werden kaum aufgegriffen und dadurch möglicherweise erfolgte Finanzordnungswidrigkeiten werden in der Regel nicht geahndet.
2.2. Fall 3: Unkorrekte Leistungsbeschreibung
Die Rechnung enthält eine unzutreffende, weil nicht korrekte Leistungsbeschreibung. Tatsächlich ist aber erwiesen, dass eine Lieferung/Leistung für das Unternehmen im Inland ausgeführt worden ist.
Ergebnis: Auch in diesem Fall ist, so wie in den Fallbeispielen 1 und 2, davon auszugehen, dass es zu keiner Verkürzung von Umsatzsteuer gekommen ist und somit kein Verkürzungsdelikt vorliegt. Folglich kann auch kein Abgabenbetrug vorliegen.
2.3. Fall 4: Eigenmächtige Rechnungsberichtigung
Ein Unternehmer ergänzt eigenmächtig die an ihn gestellte Rechnung, um sich das mühsame Prozedere einer Rechnungsberichtigung zu ersparen. Nachgewiesen ist, dass die Lieferung tatsächlich ausgeführt worden ist.
Ergebnis: Auch diese Fallvariante ändert nichts an der bisherigen Beurteilung (keine Abgabenhinterziehung). Es gelten die gleichen Überlegungen wie zu den Fällen 1 bis 3.
Der Unternehmer C stellt an den Unternehmer D eine Rechnung aus, obwohl dieser keine Lieferung bzw. Leistung an das Unternehmen des D stattgefunden hat und demnach der Vorsteuerabzug erschlichen wird und eine Lieferung/Leistung an Unternehmer D nur vorgetäuscht wird.
2.4. Fall 5: Rechnung für Privat wird auf Unternehmen umgeschrieben
Ergebnis: In dieser Konstellation liegen die materiellrechtlichen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs eindeutig nicht vor. D hat Leistungen nicht für sein Unternehmen, sondern für sich privat bezogen hat. D hat durch die Vorsteuererschleichung eine Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG bzw nach § 33 Abs 1 FinStrG zu verantworten. Die falsche Rechnung stellt ein betrügerisches Element (falsches Beweismittel) iSd § 39 Abs 1 lit a FinStrG dar. Sofern die entsprechende Wertgrenze überschritten ist, kommt Abgabenbetrug nach § 39 Abs 1 lit a FinStrG in Betracht.
C hat einen Tatbeitrag nach § 11, 33 FinStrG (gegebenenfalls iVm § 39 Abs 1 FinStrG) zu verantworten. Ebenso ist im Falle einer Scheinrechnung ohne Lieferung oder Leistung zu verfahren.
2.5. Fall 6: Rechnungsaussteller ist kein Unternehmer
B erbringt eine Leistung an den Unternehmer D und stellt dafür eine Rechnung mit Umsatzsteuer aus, obwohl B kein Unternehmer iSd UStG ist. Dies erkennt der Unternehmer D grob fahrlässig nicht.
Ergebnis: Der Nichtunternehmer B schuldet die Umsatzsteuer kraft Rechnungslegung nach § 11 Abs 14 UStG. Für B als Nichtunternehmer besteht jedoch keine Pflicht zur Einreichung einer Umsatzsteuervoranmeldung und Entrichtung von Vorauszahlungen bzw Einreichung einer Umsatzsteuerjahreserklärung. Eine Verwirklichung des § 33 Abs 2 lit a FinStrG bzw § 33 Abs 1 FinStrG in unmittelbarer Täterschaft kommt somit für B nicht in Betracht. Auch nicht die durch die Nichtabfuhr der Umsatzsteuer bewirkte Finanzordnungswidrigkeit nach § 49 FinStrG. Eine Strafbarkeitslücke ist darin nicht zu erblicken. Die subjektive Tatseite wird bei B regelmäßig gegeben sein.
Hätte D die Nichtunternehmereigenschaft erkennen können bzw. müssen, darf er den Vorsteuerabzug nicht geltend machen. Macht er dennoch den Vorsteuerabzug in der Umsatzsteuerjahreserklärung geltend, liegt bei Vorsatz eine Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG vor. Bei grober Fahrlässigkeit ist eine grob fahrlässige Abgabenverkürzung nach § 34 FinStrG zu verantworten. Eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit im Voranmeldungsstadium kommt nicht in Betracht.
2.6. Fall 7: Kenntnis des Leistungsempfängers über Umsatzsteuer-Missbrauch
Der Unternehmer C liefert Waren an den Unternehmer D für dessen Unternehmen. Allerdings weiß D, dass der betreffende Umsatz iZm Umsatzsteuerhinterziehungen (iSd § 12 Abs 14 UStG) steht.
Ergebnis: Treffen die Voraussetzungen des § 12 Abs 14 UStG zu, darf D trotz Erfüllung der materiellen Voraussetzungen den Vorsteuerabzug nicht vornehmen. Bei Vorsatz wird Abgabenhinterziehung nach § 33 FinStrG vorliegen.
Auf den Punkt gebracht
Der Vorsteuerabzugs ohne die formalen Nachweise zu erfüllen (Rechnung mit allen gesetzlichen Merkmalen) kann bei Vorliegen der materiellrechtlichen Voraussetzungen zutreffend erweise nur als Verwaltungsübertretung, somit als „bloße“ Finanzordnungswidrigkeit sanktioniert werden, aber niemals als Abgabenhinterziehungsdelikt (§§ 33, 34, 39, 49 Abs 1 FinStrG).
Wenn allerdings die materiellrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt werden (Beispiel 5: Umschreibe-Rechnung; Beispiel 6: Rechnungsaussteller ist kein Unternehmer) oder der Leistungsempfänger Kenntnis vom Umsatzsteuer-Missbrauch hat (Beispiel 7), kann es zu einer Verkürzung von Umsatzsteuer und somit zu einer Abgabenhinterziehung gemäß § 33 FinStrG kommen.